Gemeinsame elterliche Sorge - Ende von Sorgerechtsstreitigkeiten bei Scheidungen?

Am 1. Juli 2014 trat eine wich­ti­ge Än­de­rung des Fa­mi­li­en­rechts in Kraft: Ins­künf­tig soll in der Schweiz der Grund­satz der ge­mein­sa­men el­ter­li­chen Sorge so­wohl bei ge­schie­de­nen wie auch bei nicht mit­ein­an­der ver­hei­ra­te­ten El­tern gel­ten. Die Re­form ver­folgt zwei Ziele: Nicht­ver­hei­ra­te­te Väter sol­len in Bezug auf ihre Kin­der die glei­chen Rech­te be­kom­men wie die Müt­ter und die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge soll un­ab­hän­gig vom Zi­vil­stand der El­tern die Regel dar­stel­len. Neu gilt also Fol­gen­des:

1. El­ter­li­che Sorge

a) Ge­schie­de­ne El­tern

Das Sor­ge­recht ver­bleibt neu im Falle einer Schei­dung grund­sätz­lich von Ge­set­zes wegen bei bei­den El­tern­tei­len. Um si­cher­zu­stel­len, dass die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge dem Kin­des­wohl ent­spricht, wer­den die El­tern ver­pflich­tet, dem Ge­richt ihre An­trä­ge be­züg­lich Be­treu­ung und Un­ter­halt des Kin­des zu un­ter­brei­ten. Ist es al­ler­dings zur Wah­rung des Kin­des­wohls ge­bo­ten, kann das Ge­richt wie bis anhin die el­ter­li­che Sorge nur einem El­tern­teil al­lein über­tra­gen.

b) Un­ver­hei­ra­te­te El­tern

Bei un­ver­hei­ra­te­ten El­tern gilt eine dif­fe­ren­zier­te Re­ge­lung:

Wenn das Kin­des­ver­hält­nis durch An­er­ken­nung der Va­ter­schaft ent­steht, kann durch die El­tern eine ge­mein­sa­me Er­klä­rung ab­ge­ge­ben wer­den, womit die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge von Ge­set­zes wegen zu­stan­de kommt. Be­stand­teil die­ser Er­klä­rung muss auch hier die Ver­stän­di­gung über die An­tei­le an der Be­treu­ung und am Un­ter­halt des Kin­des sein. Geben die El­tern die Er­klä­rung be­tref­fend ge­mein­sa­mes Sor­ge­recht gleich­zei­tig mit der An­er­ken­nung ab, so rich­ten sie beide Er­klä­run­gen an das Zi­vil­stands­amt. Eine spä­te­re Er­klä­rung be­tref­fend ge­mein­sa­mes Sor­ge­recht haben sie an die Kin­des­schutz­be­hör­de (KESB) am Wohn­sitz des Kin­des zu rich­ten. Wei­gert sich ein El­tern­teil, die Er­klä­rung über die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge ab­zu­ge­ben, prüft die Kin­des­schutz­be­hör­de auf An­trag des an­de­ren El­tern­teils die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge (Art. 298b ZGB).

Wird das Kin­des­ver­hält­nis mit­tels Va­ter­schafts­kla­ge fest­ge­stellt, ver­fügt das zu­stän­di­ge Ge­richt gleich­zei­tig die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge, so­fern das al­lei­ni­ge Sor­ge­recht nicht dem Kin­des­wohl ent­spricht (Art. 298c ZGB). 

Na­mens­recht­lich gilt bei un­ver­hei­ra­te­ten El­tern, dass bei Aus­übung des ge­mein­sa­men Sor­ge­rechts die El­tern ge­mein­sam be­stim­men, wel­chen Nach­na­men das Kind tra­gen soll (Art. 270a Abs. 1 ZGB).  

Wich­tig im Zu­sam­men­hang mit der Neu­re­ge­lung der el­ter­li­chen Sorge ist auch die Re­ge­lung, dass im Falle des Todes eines El­tern­tei­les die el­ter­li­che Sorge beim über­le­ben­den El­tern­teil ver­bleibt (Art. 297 ZGB). Glei­ches gilt beim Tod des El­tern­teils, dem die el­ter­li­che Sorge al­lein zu­stand. Auch hier über­trägt die Kin­des­schutz­be­hör­de die el­ter­li­che Sorge in der Regel dem über­le­ben­den El­tern­teil oder be­stellt dem Kind einen Vor­mund - je nach dem, was das Wohl des Kin­des er­for­dert. Mit die­ser Neu­re­ge­lung wird beim Verster­ben eines El­tern­teils die Po­si­ti­on des über­le­ben­den El­tern­teils ge­stärkt. Bis­her war es ge­ra­de bei ge­schie­de­nen oder nicht ver­hei­ra­te­ten El­tern nicht au­to­ma­tisch vor­ge­se­hen, dass der über­le­ben­de El­tern­teil die el­ter­li­che Sorge er­hält.

2. Be­stim­mung des Auf­ent­halts­or­tes des Kin­des

Die el­ter­li­che Sorge schliesst das Recht ein, den Auf­ent­halts­ort des Kin­des zu be­stim­men (Art. 301a ZGB). Üben die El­tern die el­ter­li­che Sorge ge­mein­sam aus und will ein El­tern­teil den Auf­ent­halts­ort des Kin­des wech­seln, be­da­rf es neu der Zu­stim­mung des an­de­ren El­tern­teils. Bei Un­ei­nig­keit muss das zu­stän­di­ge Ge­richt dar­über ent­schei­den, wenn der neue Auf­ent­halts­ort im Aus­land liegt oder der Wech­sel des Auf­ent­halts­or­tes er­heb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Aus­übung der el­ter­li­chen Sorge und den per­sön­li­chen Ver­kehr durch den an­de­ren El­tern­teil hat. Wird der Auf­ent­halts­ort des Kin­des trotz Zu­stim­mungs­er­for­der­nis ei­gen­mäch­tig ge­wech­selt, kön­nen straf­recht­li­che Sank­ti­o­nen die Folge sein (Art. 220 StGB). Liegt der neue Auf­ent­halts­ort des Kin­des im Aus­land, kann unter Um­stän­den auch eine Rü­ck­füh­rung des Kin­des in die Schweiz er­wirkt wer­den. Übt ein El­tern­teil die el­ter­li­che Sorge al­lei­ne aus, muss er den an­de­ren El­tern­teil über einen Wohn­orts­wech­sel recht­zei­tig in­for­mie­ren.

3. Än­de­rung des AHV-Ge­set­zes per 1. Ja­nu­ar 2015:

Auch in Zu­kunft wird es häu­fig so sein, dass trotz ge­mein­sa­mer el­ter­li­cher Sorge nur ein El­tern­teil seine Er­werbs­tä­tig­keit ein­schränkt, um die ge­mein­sa­men Kin­der zu be­treu­en. Die­ser be­treu­en­de El­tern­teil er­lei­det da­durch Ein­bus­sen im Hin­blick auf die künf­ti­gen AHV-Leis­tun­gen. Die bis­her gel­ten­de Re­ge­lung, wo­nach die Er­zie­hungs­gut­schrif­ten bei ge­mein­sa­mer el­ter­li­cher Sorge hälf­tig auf­ge­teilt wer­den, ist somit in vie­len Fäl­len nicht mehr an­ge­mes­sen. Mit Än­de­rung der AHV-Ver­ord­nung (je­doch erst per 1. Ja­nu­ar 2015) soll des­halb neu die An­rech­nung der Er­zie­hungs­gut­schrif­ten bei ge­mein­sa­mer el­ter­li­cher Sorge ge­schie­de­ner oder nicht mit­ein­an­der ver­hei­ra­te­ter El­tern ex­pli­zit ge­re­gelt wer­den müs­sen. Es ist vor­ge­se­hen, dass das Ge­richt oder die Kin­des- und Er­wach­se­nen­schutz­be­hör­de (KESB) bei jedem Ent­scheid über die ge­mein­sa­me el­ter­li­che Sorge gleich­zei­tig auch über die An­rech­nung der Er­zie­hungs­gut­schrif­ten zu be­fin­den hat. Dabei ist die Er­zie­hungs­gut­schrift demje­ni­gen El­tern­teil an­zu­rech­nen, wel­cher den über­wie­gen­den Teil der Be­treu­ungs­leis­tung für die ge­mein­sa­men Kin­der er­bringt.

4. Neu­re­ge­lung des Un­ter­halts­rechts

Ge­plant war ur­sprüng­lich auch, zu­sam­men mit der Neu­re­ge­lung des el­ter­li­chen Sor­ge­rechts eine Neu­re­ge­lung des Un­ter­halts­rechts zu ver­ab­schie­den. Ziel ist es, un­ab­hän­gig vom Zi­vil­stand der El­tern das Recht des Kin­des auf Un­ter­halt zu stär­ken. Die­ser zwei­te Re­form­teil wird je­doch erst zu einem spä­te­ren Zeit­punkt in Kraft tre­ten, da sich die eid­ge­nös­si­schen Räte noch nicht auf einen ge­mein­sa­men Nen­ner ei­ni­gen konn­ten. Wir wer­den Sie dar­über zu ge­ge­be­ner Zeit wie­der ori­en­tie­ren.

Mauro Gisi