Gratifikation – freiwillig oder nicht?

Die Aus­rich­tung einer Gra­ti­fi­ka­ti­on bei guten in­di­vi­du­el­len Leis­tun­gen des Ar­beit­neh­mers und/oder gutem Ge­schäfts­gang ist weit ver­brei­tet. Nach bun­des­ge­richt­li­cher Recht­spre­chung kann die Ho­no­rie­rung guter Er­geb­nis­se mit­tels Gra­ti­fi­ka­ti­o­nen je­doch zu sehr un­er­wünsch­ten Er­geb­nis­sen füh­ren: Die Gra­ti­fi­ka­ti­on wird bei re­gel­mäs­si­ger Aus­rich­tung unter Um­stän­den zu einem ge­schul­de­ten (und ein­klag­ba­ren) An­spruch, selbst wenn sich der Ge­schäfts­gang ne­ga­tiv ent­wi­ckelt. Der nach­fol­gen­de Auf­satz in­for­miert über die Hin­ter­grün­de und mög­li­che Vor­sichts­mass­nah­men.

Ein Fall­bei­spiel aus der Pra­xis

Ein Ar­beit­neh­mer ist be­reits im fünf­ten Jahr bei der X AG an­ge­stellt. Weil der Ge­schäfts­gang in den ver­gan­ge­nen Jah­ren je­weils gut war, wurde dem Ar­beit­neh­mer zu­sam­men mit dem De­zem­ber­lohn jedes Jahr unter dem Titel "Gra­ti­fi­ka­ti­on" ein zu­sätz­li­cher Be­trag über­wie­sen, der in sei­ner Höhe stets einem Mo­nats­lohn ent­sprach. Im Ar­beits­ver­trag des be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mers ist eine sol­che Zu­satz­ver­gü­tung nicht ge­re­gelt. Im fünf­ten Jahr der An­stel­lung lau­fen die Ge­schäf­te auf­grund kon­junk­tu­rel­ler Schwie­rig­kei­ten nicht mehr so gut wie in den vor­an­ge­gan­ge­nen Jah­ren. Der Ar­beit­neh­mer hat die all­ge­mein etwas schwä­che­re Ge­schäfts­la­ge zwar be­merkt, ist aber den­noch ent­täuscht, dass die­ses Jahr in sei­ner Lohn­ab­rech­nung für den Monat De­zem­ber die Ru­brik "Gra­ti­fi­ka­ti­on" - und ins­be­son­de­re eine damit ver­bun­de­ne Zu­satz­ver­gü­tung - fehlt. Die Ent­täu­schung ist umso grös­ser, als der Ar­beit­neh­mer die­ses Jahr wie­der­holt Über­stun­den ge­leis­tet und vom Ar­beit­ge­ber immer wie­der Kom­pli­men­te für seine gute Ar­beits­mo­ral er­hal­ten hat.

An­ge­spro­chen auf die­sen Um­stand, gibt ihm sein Ar­beit­ge­ber zu be­den­ken, dass die­ses Jahr auf­grund der schlech­ten Auf­trags­la­ge die Gra­ti­fi­ka­ti­o­nen aller Mit­a­r­bei­ter lei­der hät­ten ge­stri­chen wer­den müs­sen. Der Ar­beit­neh­mer gibt sich damit nicht zu­frie­den, wes­halb es zu­neh­mend zu hit­zi­gen Dis­kus­si­o­nen zwi­schen den Par­tei­en kommt. Der Ar­beit­ge­ber möch­te sich ab­si­chern und kon­sul­tiert daher sei­nen Ver­trau­ens­an­walt. Die­ser wie­der­um kommt nach kur­z­er Ana­ly­se zum Schluss, dass der Ar­beit­ge­ber die Gra­ti­fi­ka­ti­on auch in die­sem Jahr (lei­der) be­zah­len müsse, selbst wenn die Auf­trags­la­ge noch so schlecht sei.

Es mag ar­beit­ge­ber­sei­tig als un­ge­recht emp­fun­den wer­den, aber diese Aus­kunft des Rechts­an­walts ist nicht zu be­an­stan­den, wes­halb der Ar­beit­ge­ber zur Ver­hin­de­rung wei­te­rer Kos­ten gut daran tut, die Gra­ti­fi­ka­ti­on "frei­wil­lig" ein wei­te­res Mal zu be­zah­len.

Das Pro­blem

Das Ge­setz be­zeich­net die Gra­ti­fi­ka­ti­on als eine "Son­der­ver­gü­tung", auf wel­che der Ar­beit­neh­mer nur dann An­spruch hat, wenn dies zwi­schen den Par­tei­en so ver­ab­re­det ist (Art. 322d Abs. 1 OR). Damit wie­der­holt das Ge­setz ei­gent­lich nur, was für das ge­sam­te Ver­trags­recht (ab­ge­se­hen von zwin­gen­den Ge­set­zes­be­stim­mun­gen) selbst­ver­ständ­lich ist: Jede Par­tei hat An­spruch auf die­je­ni­gen Leis­tun­gen, die man mit­ein­an­der ab­ge­macht hat. Was soll nun aber gel­ten, wenn eine Son­der­ver­gü­tung zwi­schen den Par­tei­en nicht aus­drü­ck­lich ver­ein­bart wurde, der Ar­beit­ge­ber eine sol­che aber den­noch wäh­rend meh­re­rer Jahre frei­wil­lig aus­be­zahlt hat? Das Bun­des­ge­richt hat diese Frage in sei­ner lang­jäh­ri­gen Pra­xis wie­der­holt wie folgt be­ant­wor­tet: Eine re­gel­mäs­si­ge, un­un­ter­bro­che­ne und vor­be­halt­lo­se Jah­res­end­zu­la­ge be­grün­det einen (klag­ba­ren) An­spruch des Ar­beit­neh­mers.

Grund für diese auf den ers­ten Blick nur schwer ver­ständ­li­che und teil­wei­se auch zu Recht als un­fair emp­fun­de­ne Pra­xis ist der fol­gen­de: Das schwei­ze­ri­sche Ver­trags­recht geht davon aus, dass Ab­ma­chun­gen grund­sätz­lich (vor­be­hält­lich einer Form­vor­schrift, z.B. Lie­gen­schafts­kauf) auch münd­lich ge­trof­fen wer­den kön­nen. Münd­li­che und schrift­li­che Ver­ein­ba­run­gen sind daher in den meis­ten Fäl­len voll­kom­men gleich­wer­tig. Zudem kön­nen Ab­ma­chun­gen nicht nur aus­drü­ck­lich, son­dern auch still­schwei­gend (sog. kon­klu­dent) er­fol­gen. Das be­deu­tet, dass be­reits aus dem Ver­hal­ten der Par­tei­en in ge­wis­sen Fäl­len auf das Vor­lie­gen einer (still­schwei­gen­den) Ver­ein­ba­rung ge­schlos­sen wird, aus wel­cher eine oder beide Par­tei­en Rech­te ab­lei­ten kön­nen. Im Fall der mehr­jäh­ri­gen und un­un­ter­bro­che­nen Zah­lung einer Gra­ti­fi­ka­ti­on geht das Bun­des­ge­richt also davon aus, dass zwi­schen den Par­tei­en eine still­schwei­gen­de Ver­ein­ba­rung zu­stan­de ge­kom­men sei.

Dies kann für den Ar­beit­ge­ber är­ger­lich sein, vor allem aus zwei Grün­den: Zum einen emp­fin­det er sich nicht sel­ten als von der Rechts­ord­nung für seine Gross­zü­gig­keit be­straft. An­de­rer­seits trifft ihn diese Stra­fe meist in einem wirt­schaft­lich schwie­ri­gen Zeit­punkt, in wel­chem er sich die Aus­rich­tung der Gra­ti­fi­ka­ti­on ge­ra­de nicht leis­ten kann (denn sonst hätte er sie ja wie bis­her frei­wil­lig be­zahlt).

Lö­sun­gen

1. Grund­satz: Er­folgs­ab­hän­gi­ger Leis­tungs­lohn an­statt Gra­ti­fi­ka­ti­on

Einer Gra­ti­fi­ka­ti­on vor­zu­zie­hen ist in jedem Fall die Ver­ein­ba­rung eines (teil­wei­se) leis­tungs­ab­hän­gi­gen Loh­nes. Mit Vor­teil wird die­ser Leis­tungs­lohn (in der Pra­xis häu­fig als Bonus be­zeich­net) nicht nur von der in­di­vi­du­el­len Leis­tung des Mit­a­r­bei­ters, son­dern auch vom Er­folg des ge­sam­ten Un­ter­neh­mens ab­hän­gig ge­macht. So wird si­cher­ge­stellt, dass va­ri­a­ble Ver­gü­tun­gen nur in wirt­schaft­lich zu­frie­den­stel­len­den Jah­ren aus­ge­rich­tet wer­den müs­sen. Ein wei­te­rer Vor­teil die­ser Lö­sungs­va­ri­a­n­te ist die Tat­sa­che, dass Mit­a­r­bei­ter so einen An­reiz für gute Leis­tun­gen er­hal­ten. Diese Auf­ga­be kann die echte Gra­ti­fi­ka­ti­on nicht er­fül­len, denn sie ist ein­zig und al­lein davon ab­hän­gig, ob der Ar­beit­ge­ber sich zur Aus­rich­tung ent­schei­det oder nicht.

2. Aus­nah­me: Aus­rich­tung einer Gra­ti­fi­ka­ti­on unter Be­ach­tung zwei­er Grund­re­geln

Es ist denk­bar, dass in Aus­nah­me­fäl­len trotz­dem eine Gra­ti­fi­ka­ti­on (an­statt eines er­folgs­ab­hän­gi­gen Leis­tungs­lohns) zur Aus­zah­lung kom­men soll. Zu den­ken ist etwa an eine nicht vor­her­seh­ba­re Per­for­mance eines ein­zel­nen Mit­a­r­bei­ters (oder des ge­sam­ten Un­ter­neh­mens) oder auch an Fälle, in denen ver­dien­te Mit­a­r­bei­ter in hei­k­len Pha­sen zu­sätz­lich an das Un­ter­neh­men ge­bun­den wer­den sol­len. Für diese Fälle ist fol­gen­des zu be­her­zi­gen:

a) Eine der­ar­ti­ge Aus­nah­me­si­tua­ti­on darf nie un­be­merkt zur Regel wer­den. Der Ar­beit­ge­ber ver­schafft sich die nö­ti­ge Ge­wiss­heit schon, indem er die Lohn­ab­rech­nun­gen der ver­gan­ge­nen zwei Jahre kon­trol­liert. Nach der ak­tu­ell gül­ti­gen bun­des­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung ent­steht ein An­spruch erst nach drei­jäh­ri­ger Aus­rich­tung der Gra­ti­fi­ka­ti­on.

b) Die Aus­zah­lung der Gra­ti­fi­ka­ti­on ist un­be­dingt mit einem sog. "Frei­wil­lig­keits­vor­be­halt" zu ver­bin­den. Dies be­deu­tet, dass der Ar­beit­ge­ber zu­sam­men mit der Aus­zah­lung der Gra­ti­fi­ka­ti­on dem Ar­beit­neh­mer schrift­lich mit­teilt, dass es sich bei die­ser Zah­lung um eine frei­wil­li­ge Leis­tung hand­le und der Ar­beit­neh­mer hier­aus kei­ner­lei Ansprü­che für künf­ti­ge Ge­schäfts­jah­re ab­lei­ten könne. Der Ar­beit­ge­ber tut zudem gut daran, die aus­nahms­wei­se Aus­rich­tung der Gra­ti­fi­ka­ti­on zu be­grün­den.

Für De­tails oder Fra­­­­gen zum Ar­ti­kel wen­­­­den Sie sich bitte an:
Chri­s­toph Blöch­lin­ger