Kündigung vor Stellenantritt
Diese Frage betrifft sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer: Kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bereits vor Stellenantritt gekündigt werden? Grundsätzlich gilt: Ja, eine Kündigung vor Stellenantritt ist zulässig.
Ein Fallbeispiel
Ein Arzt sucht für seine Praxis einen Assistenzarzt, der über ein abgeschlossenes Medizinstudium verfügen soll (letzteres steht jedoch nicht im Stelleninserat). Auf das Inserat bewirbt sich unter anderem ein Medizinstudent, der mitten in den Abschlussprüfungen seines Staatsexamens steckt. Der Arzt ist begeistert von dieser Bewerbung und die beiden treffen sich daher am 15. Juni 2012 zu einem Bewerbungsgespräch. Über die weiteren Einzelheiten wird man sich schnell einig, und beide Seiten unterzeichnen noch am gleichen Tag einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit Stellenantritt am 1. Oktober 2012. Mitte August meldet sich der Medizinstudent telefonisch bei seinem künftigen Arbeitgeber und teilt ihm mit, dass er die Abschlussprüfungen leider nicht bestanden habe. Der Arzt ist darüber nicht begeistert, kommt für ihn doch nur ein Assistent mit abgeschlossenem Studium in Frage. Er will deshalb sofort einen neuen Assistenten suchen, den Arbeitsvertrag mit dem Medizinstudenten will er schnellstmöglich auflösen.
Kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bereits vor Stellenantritt gekündigt werden?
Die Antwort sei hier gleich vorweggenommen: Ja, eine Kündigung vor Stellenantritt ist zulässig. Ganz selbstverständlich ist diese Antwort jedoch nicht. Denn immerhin ist zu berücksichtigen, dass so die Probezeit in gewisser Weise ihren Sinn verliert. Wenn vor Stellenantritt bereits gekündigt wird, kommt es nämlich gar nie so weit, dass die Parteien die Eignung der jeweiligen Gegenpartei «probeweise» erkunden können. Und zumindest als etwas ungewöhnlich muss doch auch die Tatsache erscheinen, dass mit der vorzeitigen Kündigung etwas beendet wird, das noch gar nicht angefangen hat. Schliesslich mag es auch der eine oder andere betroffene Arbeitnehmer als ungerecht empfinden, dass er trotz schriftlicher Vereinbarung (im Arbeitsvertrag) gar nie die Gelegenheit erhält, den Arbeitgeber tatkräftig von seinen Fähigkeiten bei der Ausübung der vereinbarten Arbeit zu überzeugen.
Es ist jedoch heute – sowohl in der Rechtslehre als auch unter den Richtern – unbestritten, dass bereits vor Stellenantritt gekündigt werden darf. Wichtigstes Argument hierfür ist der Umstand, dass ja bereits am ersten Arbeitstag ohnehin gekündigt werden dürfte, noch dazu ohne Grund. Denn im schweizerischen Kündigungsrecht gilt der Grundsatz, dass Kündigungen auch ohne Grund ausgesprochen werden dürfen. Selbst wenn man also die Kündigung vor Stellenantritt als unzulässig taxieren würde, könnte der Arbeitgeber (oder natürlich auch der Arbeitnehmer) den Vertrag am ersten Arbeitstag (z. B. frühmorgens, noch vor dem ersten «Spatenstich») grundlos kündigen. Zum Arbeitsantritt käme es also ohnehin nicht, erst recht nicht zu einer Probezeit.
Der Arzt kann daher den Arbeitsvertrag mit dem Medizinstudenten bereits vor dem vereinbarten Stellenantritt kündigen.
Welche Kündigungsfrist gilt?
Während der Probezeit gilt – ohne abweichende Vereinbarung – eine Kündigungsfrist von 7 Tagen (Art. 335b Abs. 1 OR). Nach Ablauf der Probezeit gilt die ordentliche Kündigungsfrist von einem Monat während des ersten Dienstjahres (Art. 335c Abs. 1 OR; anderslautende Abmachungen vorbehalten). Wird der Arbeitsvertrag noch vor dem ersten Arbeitstag wieder aufgelöst, so fragt es sich, welche Kündigungsfrist nun gelten soll. Denn obwohl die Probezeit (mit der kürzeren Kündigungsfrist) naturgemäss immer «zuerst» kommt, kann diese nach ihrem Sinn und Zweck nicht vor dem ersten effektiven Arbeitstag beginnen.
Das Bundesgericht hat diese Frage bis heute nicht beantwortet respektive auch nicht zu beantworten gehabt. Verschiedene kantonale Gerichte haben derartige Fälle jedoch bereits entschieden. Es kann daher als mittlerweile verlässliche Praxis angesehen werden, dass bei vorzeitigen Kündigungen die während der Probezeit geltende Kündigungsfrist (i. d. R. 7 Tage) gilt.
Wann beginnt und wann endet die Kündigungsfrist?
Für alle unbefristeten Arbeitsverhältnisse gilt der vom Bundesgericht aufgestellte Grundsatz, dass die Kündigungsfrist vom Beendigungstermin an «rückwärts» zu berechnen ist. Zum besseren Verständnis folgendes Beispiel: Bei einmonatiger Kündigungsfrist und Kündigung am 5. März liegt der 6. März noch nicht in der Kündigungsfrist. Denn Beendigungstermin ist der 30. April, weil ja (ohne andere Abmachung) nur auf das Ende eines Monats gekündigt werden kann (Art. 335c Abs. 1 OR). Von diesem Tag an, also ab dem 30. April, ist die einmonatige Kündigungsfrist zu berechnen (und zwar rückwärts). Konkret bedeutet dies, dass bei diesem Beispiel der gesamte Monat April die Kündigungsfrist darstellt.
Für die vorzeitige Kündigung sind sich jedoch weder die Gerichte noch die Rechtslehre einig, wann die Kündigungsfrist beginnen soll. Es gibt im Wesentlichen die folgenden zwei Meinungen:
1. Die Kündigungsfrist wird – egal wann gekündigt wird – erst vom vereinbarten Antrittstermin an berechnet. In der Regel stellen daher die ersten 7 Tage nach dem vereinbarten Stellenantritt die Kündigungsfrist dar.
2. Nach einer anderen Meinung beginnt die Kündigungsfrist bereits vor dem vereinbarten Stellenantritt zu laufen. Da während der Probezeit auf jeden beliebigen Termin gekündigt werden darf, soll die Kündigungsfrist also mit Empfang der Kündigung zu laufen beginnen. Nach 7 Tagen (wenn keine längere Kündigungsfrist für die Probezeit vereinbart wurde) ist das Arbeitsverhältnis beendet.
Muss während der Kündigungsfrist Lohn bezahlt werden?
Die Antwort hängt davon ab, wie man die vorhergehende Frage beantwortet.
1. Soll die Kündigungsfrist erst am vereinbarten Antrittstermin zu laufen beginnen, so ist grundsätzlich auch Lohn während der Kündigungsfrist geschuldet. Dies bedingt jedoch, dass der Arbeitnehmer tatsächlich eine Arbeitsleistung erbringt. Denn vom wohl wichtigsten Grundsatz des Arbeitsrechts soll auch hier nicht abgewichen werden: «Ohne Arbeit kein Lohn». Lohn ist auch dann geschuldet, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit zwar angeboten hat, der Arbeitgeber jedoch auf die ihm angebotene Arbeitsleistung verzichtet.
2. Soll die Kündigungsfrist bereits mit Empfang der Kündigung – also vor dem Antrittstermin – zu laufen beginnen, so besteht für den Arbeitnehmer gar keine Möglichkeit, zu arbeiten (oder die Arbeit anzubieten). Ergo kann in diesem Fall auch kein Lohnanspruch entstehen. Dies ist für den Arbeitnehmer nicht unbedingt nachteilig. Denn das Abwarten des Antrittstermins, nur um den Lohn für 7 Tage Kündigungsfrist zu erhalten, ist gesamthaft betrachtet auch für den Arbeitnehmer wenig sinnvoll. Für den Medizinstudenten im Beispiel würde dies nämlich bedeuten, dass er von Mitte August bis zum 1. Oktober «warten» müsste, nur um dann während 7 Tagen für den Arzt zu arbeiten (oder um diesem dann die Arbeit anzubieten).
Wäre ein Aufhebungsvertrag möglich?
Der Aufhebungsvertrag ist eine Alternative zur Kündigung. Hierbei vereinbaren die Parteien einvernehmlich, dass sie das Arbeitsverhältnis auf einen bestimmten Termin beenden wollen. Es ist unbestritten, dass mit einer solchen Auflösungsvereinbarung z. B. die Kündigungsfristen umgangen werden dürfen, sofern die getroffene Regelung für beide Parteien ein «Geben und Nehmen» darstellt. Wenn also der Medizinstudent im Beispiel seinerseits eine alternative Jobmöglichkeit hätte, die er schon vor dem 1. Oktober wahrnehmen könnte (oder wenn er sich sofort wieder dem Lernen für die Prüfungswiederholung widmen will), so liegt die vorzeitige Auflösung (mittels Aufhebungsvertrag) ja auch in seinem Interesse.
Was tut der Arbeitgeber, wenn er auf der «ganz sicheren Seite» sein will?
Es besteht im Beispielfall sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer die (rechtliche) Unsicherheit, wann im Falle einer Kündigung die Kündigungsfrist zu laufen beginnen würde. Damit ist auch nicht klar, ob der Medizinstudent nun am 1. Oktober noch zur Arbeit antreten müsste, wenn ihm der Arzt bereits im August kündigen würde. Entscheidend ist, dass vorliegend wohl keine der Parteien ein Interesse daran haben kann, bis zum 1. Oktober zuzuwarten, nur um dann die 7-tägige Kündigungsfrist verstreichen zu lassen. An einer sofortigen Auflösungsvereinbarung sind daher mutmasslich beide Seiten interessiert. Dabei ist jedoch zu beachten, dass aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht alles gültig vereinbart werden kann, selbst wenn beide Parteien damit einverstanden wären. Die Auflösungsvereinbarung ist daher nur dann gültig, wenn sie als ein fairer Kompromiss erscheint, der auch im Interesse des Arbeitnehmers liegt. Wenn der Arzt daher ganz sicher sein will, dass die zu treffende Lösung jeder gerichtlichen Beurteilung standhält, schliesst er mit dem Medizinstudenten einen Aufhebungsvertrag. Darin ist schriftlich festzuhalten, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Ausdrücklich zu nennen sind auch die Gründe, aus denen beide Seiten ein Interesse an diesem Aufhebungsvertrag haben. Und schliesslich wäre der Arzt gut beraten, sich im Aufhebungsvertrag zu verpflichten, dem Medizinstudenten noch die Hälfte des auf die Kündigungsfrist entfallenden Lohnes zu bezahlen (also 3½ Tage). Damit ist es nämlich ausgeschlossen, dass der Aufhebungsvertrag in einem allfälligen späteren Gerichtsverfahren als unfaire und daher ungültige Lösung taxiert würde. Der Arzt ginge mit dieser Lösung also gewissermassen «auf Nummer sicher».
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